Mittwoch, 8. August 2012

die Tage sind gezaehlt.

Heute bin ich zum letzten mal in Haidom. Am Samstag feiern wir auf der Arbeit Abschied, am Montag zu Hause. Am Mittwoch Morgen steige ich in den Bus nach Singida und 24 Stunden spaeter in den nach Dar es Salaam- und am Sonntag Nachmittag bin ich wieder in Deutschland. Zwoelf Monate koennen so unfassbar schnell vergehen. Die letzten drei Monate blieb gar keine Zeit mehr zum Atem holen- jedes Wochenende eine Reise nach Mwanza, Arusha, Dareda, Sansibar; Freunde besuchen, Reis ernten, neue Freunde finden, Malen lernen, Freunde verabschieden. Und immer vergingen die Tage viel zu schnell, waren nie genug, und trotzdem war es immer wieder schoen, nach Hause zu kommen, nach Mwanga. Ein Jahr habe ich darauf gewartet, dass es langweilig wird im Dorf. Aber einer Geschichte folgt die naechste- ein ungenutztes Feld wurde einer Nachbarin geklaut und in unzaehligen dorfinternen Treffen zurueckgefordert, meine Gastschwester hat ein Kind bekommen, ein Jugendlicher wurde verhaftet, weil er mit einer Schuelerin geschlafen hatte. Und zwischen alldem der ganz normale Alltag in der Arbeit und bei den Nachbarn, mit indischen Filmabenden an Jonas Computer, Familienpicknick unter dem grossen Baum am Brunnen, selbstgemachten Erdnussriegeln und unzaehligen grundlosen Besuchen einmal quer durchs Dorf. Die Abschiedsgeschenke sind gekauft, die Feiervorbereitungen laufen. Und es ist unvorstellbar, dass ich das alles in eineinhalb Wochen 10.000km hinter mir lassen werde- wenn auch auf keinen Fall fuer immer. Das ist der einzige troestende Gedanke daran; egal, wann ich wiederkomme, man wird sich noch aneinander erinnern, und das "Karibu" wird genauso herzlich sein wie heute. Hier endet der letzte Eintrag, ins Internet komme ich nicht mehr. Vieles blieb unerzaehlt, aber man braucht ja auch noch Geschichten fuer die Treffen danach... wir sehen uns in Deutschland.

Freitag, 27. Juli 2012

HIV-Aufklaerung - und wie man ein Kondom benutzt...

Neulich war in der Kolpingschule der letzte Schultag vor den Ferien, und Jonas und ich hatten dafür etwas Besonderes geplant. Aufklärungsunterricht war von Anfang an etwas gewesen, was ich unbedingt machen wollte. Genau genommen hatte sich diese Gelegenheit bereits im März einmal ergeben.

Im März hatten wir für eine Woche 200 jugendliche Gäste in Mwanga. Das ganze lief über die Kirche, es wurde viel gebetet, gesungen und unterrichtet, so in der Art einer Jugendwoche, aber den ganz genauen Sinn dieses Seminars weiß ich nicht mehr. Im Rahmen dieser Woche war nun jedenfalls eine Unterrichtseinheit über HIV geplant, die von unserem jungen Arzt Lammeck gehalten werden sollte. Er hatte mich schon einige Wochen vorher gefragt, ob wir das zusammen machen wollen, und ich war natürlich dabei. Mein Plan war, mir bis dahin ein (gutes) Infoheft über Aids auf Kiswahili durchzulesen und das nötige Vokabular anzueignen, dann die Mädchen in kleine Gruppen aufzuteilen und in diesen über HIV zu reden, und in dem Zusammenhang vor allem über Kondome. Denn die werden zu diesem Thema ausgeklammert, und das nicht nur in den Unterrichtsstunden der katholischen Pfarrer- es sind tatsächlich sie, die für Aufklärung zuständig sind!- sondern auch in allen Büchern zu diesem Thema: Sex vor der Ehe darf es nicht geben, Punkt. Dass es trotzdem passiert, vor der Ehe oder innerhalb mit anderen als dem Ehepartner, und das mehr die Regel als die Ausnahme darstellt, und dass darauf reihenweise Schülerinnen schwanger werden und die Schule abbrechen- als Schüler darf man nicht heiraten oder Kinder kriegen- wird ignoriert. Nun, mein Plan war gut, meine Vorbereitung schlecht, denn ich hatte das Datum vergessen und eines Tages nach der Arbeit rief mich Lammeck und sagte, in einer Stunde ist der Unterricht, lass mal mit der Unterrichtsplanung loslegen. Eine Stunde später saßen wir natürlich völlig unvorbereitet auf dem Podest in der großen neuen Kirche vor 200 Jugendlichen. Ich hatte Lammeck gesagt, dass ich nach dem allgemeinen Vortrag Mädchen und Jungen aufteilen und in einem abgetrennten Raum eine Fragerunde starten will, und darauf hatten wir uns geeinigt. Leider endete aber alles in großem Chaos. Der Vortrag begann wegen des Regens viel zu spät, und zunächst führte ihn ein neuer Arzt der Dispensary- ein früherer Soldat und heftiger Alkoholiker. Er sprach mit leiser Stimme und der Wind und Regen machte das ganze nicht unbedingt besser, die Schüler meldeten sich laufend, dass sie nichts verstanden. Das war aber wahrscheinlich kein allzu großer Verlust; das einzige, was ich im Laufe der Rede heraushören konnte aus seinem Kiswahili-Englisch-Gemisch war, dass er gerade über den allmächtigen Gott sprach. Dann war Lammeck an der Reihe. Er wollte das ganze lockerer gestalten, nicht als Lehrer, sondern als einer von ihnen, leider verlor er relativ bald den Faden, und so ging allmählich die Sonne vor den Kirchenfenstern unter und mit ihr meine Pläne. Als er endlich zum Ende kam folgte die Ankündigung: die Jungen bleiben mit Lammeck im vorderen Teil der Kirche, die Mädchen gehen mit Olga in den hinteren Teil, wo alle Fragen beantwortet werden sollen: in 10 Minuten! Die Fragen der Schüler, die davor schon anonym auf Zettel geschrieben und abgegeben worden waren, wurden ignoriert mit dem Kommentar, dafür sei keine Zeit mehr. Dieser hintere Raum der Kirche war zu groß für alle Schülerinnen, darum gingen wir raus auf die Wiese, und ich stand in der Mitte eines immer enger werdenden Kreises von 100 drängelnden Mädchen, die mehr an mir interessiert waren als an Aidsaufklärung. Fragen gab es dennoch viele- ob man sich im Saloon durch einen Rasierer infizieren kann, welche Krankheiten auf Aids hinweisen, wie der erste Mensch HIV bekommen hat. Ich wollte möglichst schnell zu meinem Hauptanliegen kommen und lenkte das Thema auf Verhütung. Ein Mädchen war recht diskutierfreudig dabei, darum fragte ich sie, ob sie wisse, wie man ein Kondom benutzt. Sie sagte: nein, denn sie hätte ja noch nie eins gebraucht. Die 10 Minuten waren schon lange rum und der leitende Pfarrer blickte ungeduldig über die Mädchenköpfe hinweg, das einzige, was mir einfiel, war ihnen das Aidsheft zu geben (das unter anderem den Gebrauch erklärt), wonach sich alles in vollendetem Chaos auflöste.

Nun kam die zweite Gelegenheit. Jonas hatte für seinen Englischtest eine Stunde zuvor einen Text über Aids genommen und damit auf die kommende Stunde hingeleitet. Jenes Heft und seine Vokabeln hatte ich bereits durchgelesen und gelernt, einen Tag vorher setzten wir uns zu zweit zusammen und bereiteten die Stunde vor, kurz vor dem Unterricht wurden noch schnell Bananen auf dem Markt gekauft, und es konnte losgehen.
Als kurz nach zwei allmählich fast alle Schüler da waren, stellten wir das Thema vor, dann ging Jonas mit den Jungs in den anderen Klassenraum und ich blieb mit den etwa 20 Mädchen im ersten. Zuerst klärten wir kurz die Begriffe Aids (Kiswahili UKIMWI) und HIV (VVU), die Symptome der Krankheit und ihren Verlauf. Danach kamen wir zur Infektion: ich hatte verschiedene Beispiele auf Karten geschrieben, die ich vorlas und ließ abstimmen, ob man sich dadurch anstecken kann oder nicht, wobei die Mädchen da fast alles richtig beurteilten. Das nächste Spiel zeigte aus Magazinen ausgeschnittene Bilder von Menschen, und sie sollten sagen, ob diese infiziert sind oder nicht. Die Auflösung war dann, dass wir es nicht wissen können, weil man es den Menschen nicht ansieht. Wir fassten die drei Möglichkeiten, sich anzustecken, zusammen: über die Mutter vor der Geburt, durch den Kontakt mit Blut oder, vor allem, durch ungeschützten Sex. Und damit wurde direkt die Banane ausgepackt. Die Stimmung in der Klasse war super, ich hatte mit viel mehr Zurückhaltung gerechnet, aber die Mädchen waren bei allen Fragen dabei. Als ich das eingepackte Kondom durchgeben ließ kam erstmal die Frage, was sie mit diesem Stück Plastik machen sollen. Das Kondom war ja auch noch in der Packung… dann wurde es ausgepackt, aufgerollt, abgezogen, zugebunden und durchgegeben. Ich erklärte so viel mir einfiel über Beschaffung- gibt es kostenlos in Krankenhaeusern, nur in unserer katholischen Dispensary nicht, aber dafuer, was ich aber erst danach erfuhr, auch in Grosspackungen bei meinem Nachbarn-, Entsorgung und anderes Wissenswertes, aber das Hauptanliegen der Mädchen war, ob ich die Banane jetzt denn noch essen werde. (Ja.) Damit waren wir durch und es blieb Zeit für Fragen. Jeder sollte, damit es anonym blieb, irgendetwas auf einen Zettel schreiben, auf den meisten stand daher nur, dass sie alles verstanden hätten. Eine Frage war, was man machen sollte, wenn das Kondom platzt, eine andere fragte nach den Symptomen, insgesamt hatte ich auf etwas mehr gehofft. Nach der Stunde aber fragten mich ein paar, ob wir sowas wieder machen werden. Ich habe ein paar Ideen dazu im Kopf, weiß aber nicht, ob die Zeit zur Umsetzung dafür noch reicht…

Sonntag, 15. Juli 2012

Bung'eda - eine Party im Busch

Und ein tieferer Einblick in die Kultur der Barbaig.

Vor etwa drei Wochen besuchte ich eines Abends meine Lieblingsnachbarsfamilie und traf dort auf George (29-jähriger, unglaublich cooler Theologiestudent), der Neuigkeiten für mich hatte: von einem Mbarbaig aus dem Dorf hatte er erfahren, dass in zwei Tagen eine Bung’eda stattfinden sollte. Das sei ein Riesenereignis, das höchstens alle paar bis 10 Jahre stattfindet, Stammesmitglieder aus allen Teilen Tansanias reisen dafür an, und wir müssen uns das unbedingt ansehen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und lief dafür am nächsten Tag durch die Gegend, um ein Fahrzeug zu organisieren. Die Organisation erwies sich als kompliziert und zog sich bis zum darauffolgenden Vormittag, da es im ganzen Dorf nur vier Autos gibt, von denen drei den Pfarrern gehören, die Leute, die ein Motorrad haben und es fahren können, keinen Führerschein haben und die, die einen haben, kein Motorrad fahren können. Kurz gefasst sind wir – George, Jonas und ich – am Ende doch beim Bus gelandet, und nach zwei Stunden warten, einer Stunde Fahrt, einer weiteren Stunde warten und drei weiteren Stunden Fahrt stiegen wir letztlich in einem kleinen Dorf zwischen Basutu und Katesh aus. Den Ort zu finden war nicht schwer, weil der Bus bereits voller Bung’edabesucher war, wo wir die ersten Informationen über dieses Fest erhielten.

Eine Bung’eda findet statt, wenn ein für den Stamm bedeutender (zB Medizinmann) bzw. berühmter bzw. vor allem reicher Mann im hohen Alter stirbt. Das Fest findet nach langer Vorbereitung ein Jahr nach dem Tod statt und dauert zwei Monate, in denen sich die Alten versammeln, und einen Monat, in dem die jungen Leute dazukommen und ihre Tänze tanzen. Die eigentliche Bung’eda ist der letzte Tag des Festes und gleichzeitig sein Höhepunkt: ein etwa 3 m großer Lehmhügel wird auf das Grab gebaut und von den Familienmitgliedern bestiegen, um für den Verstorbenen zu beten. Danach darf er in Frieden ruhen.

Wir reisten am Freitag an, weil uns gesagt wurde, dies sei dieser besondere letzte Tag, nun erfuhren wir, der Tag sei doch erst am Samstag, darum beschlossen wir, bis Sonntagmorgen zu bleiben. Wir bezogen ein Gästehaus, das in seinem uneinladenden Zustand alle bisher gesehenen Gästehäuser schlug, und machten uns dann zusammen mit zwei kennengelernten Barbaigmännern auf den 1,5-stündigen Fußmarsch durch den Busch zum Ort des Geschehens.

Von weitem schon hörten wir die Gesänge und das Trommeln, und als wir ankamen erinnerte alles an ein afrikanisches Rock im Park: zwischen den Akazien standen Zelte aus Plastikplanen in Reihen, in denen Essen verkauft wurde, an anderen Ständen verkauften Leute Perlenschmuck und Shukas (Decken, die als Kleidung um den Körper getragen werden). Und wie auf einem Metalfestival die Masse uniform Bandtshirts und Nieten trägt, so trugen hier alle ihre Shukas, Autoreifenschukombinierten). Wir drei in unserer Alltagskleidung (und vor allem wir zwei mit weißer Haut) sahen dazwischen jedenfalls ziemlich fehl am Platz aus.

Zwischen den Bäumen gab es einen großen Platz, der für den Stammestanz freigehalten wurde, um den die Leute herumstanden. Diese Tänze sind gerade für die jungen Leute nun der eigentliche Grund, um auf eine Bung’eda zu gehen. Vor dem Tanz wird sich zunächst um- bzw. ausgezogen: die Mädchen tragen nichts als ein einteiliges Lederkleid (in der Sprache der Barbaig „Eqwat“), das mit einer Hand zusammengehalten werden muss, damit die Brüste nicht rausfallen (aber das stoert auch keinen). Der Rock („Hanang’weng“) besteht aus unzähligen Lederschnüren und Perlenketten, wobei die Masse der Perlen vom Vermögen der Familie abhängt, die beim Tanz hochfliegen und die Beine freigeben. Geschminkt wird sich mit einem Gemisch aus Erde, das die Haut heller färbt; die Haare werden mit schwarzer Farbe (bzw. Schuhcreme) dunkler gefärbt. Der Schmuck sind Ringe aus Metall und Plastik um Beine, Arme und Hals, dem in Anzahl keine Grenze gesetzt wird. Die Männer tragen nichts als eine Shuka um den Körper, alle andere Kleidung wird vor dem Tanz abgelegt.
Im Tanz selbst steht nun eine Gruppe von wenigen Mädchen einer Gruppe von vielen jungen Männern gegenüber, welche den Tanz anführen: jeder hat einen Stock in den Hand, mit dem immer einer oder zwei um die Frauen herumlaufen und vor ihnen mehrmals in die Höhe springen. Mittels Augenkontakt oder dem Ablegen des Stockes erlauben sie einem Mädchen, das ihnen gefällt, zurück zu tanzen. Stimmt es dem zu, so geht sie ein Stück vor und springt wenige male hoch; die meiste Zeit stehen sie aber nur da und sehen zu. Den Gesang zum Tanz, der mehr Rhythmus und Melodie als Wort ist, geben die Männer im Chor zusammen mit Schlägen auf einen Lederschild. Das Tanzen hat dabei im Grunde nur eine Botschaft: wer tanzt ist auf Braut- bzw. Bräutigamsuche. Die Mädchen sind alle unverheiratet.

Wir stellten uns also zu den Zuschauern um die Tanzenden herum dazu, nahmen unseren Mut zusammen- und holten alle unsere Kameras raus. Jonas und ich hätten uns das vermutlich nicht getraut, wenn George nicht der erste gewesen wäre, der selbst Tansani ist, aber als Hobbyethnologe noch begeisterter bei der Sache war als wir. Nach und nach bildete sich eine Menschentraube um uns herum, die Bilder sehen oder machen wollten, die eine ähnliche Zuschaueranzahl erreichte wie die Tänze selbst, bis wir beschlossen, weiterzugehen und dafür einen Führer fanden, der uns die Boma zeigen wollte.

Die Boma ist eine abgezäunte Ansammlung von so vielen brusthohen Häusern, komplett aus Ästen und Stroh, dass es wirkte wie ein eigenes kleines Dorf. Sie wurden um das Grab des Alten herum gebaut und dienen der Unterkunft der gesamten Verwandschaft. Als wir gerade hineingingen wurde ich gleich von einem Mann hergerufen und eingeladen, seinen Honig zu probieren. Die etlichen Eimer Honig- so roh, wie er aus dem Bienenstock kommt, und voller Bienen-, die für dieses Fest gebracht werden, werden alle zu Honigwein verarbeitet: vermischt mit Wasser sorgt eine kleine hinzugegebene Wurzel dafür, dass sich das Ganze in großen kürbisartigen Kanistern, viele Stunden auf Feuer gekocht, zu Alkohol verwandelt, den jeder kostenlos bekommt und in kleinen Kürbisgefäßern mit sich herumträgt. Das ganze Honigwein zu nennen ist eigentlich zu blumig ausgedrückt, denn das Getränk schmeckt schlicht süß und berauscht- was letztlich auch sein einziger Zweck ist. Wir waren aber ja nicht dort, um uns zu betrinken (auch wenn es durchaus eine gute Gelegenheit gewesen wäre) und haben nur paar mal probiert.

In der Boma merkte ich zum ersten mal, dass die Leute nicht ausschließlich neugierig, sondern andere misstrauisch bis wütend auf unsere Kameras reagierten. Am nächsten Tag beschlossen wir darum als erstes, uns eine „offizielle“ Erlaubnis beim Chef der Bung’eda, dem erstgeborenen Sohn, zu holen. Da er wie viele Wabarbaig kein Kiswahili sprach übersetzte ein anderer Mbarbaig das Gespräch, dabei wurde uns versichert: die Bung’eda sei für alle Menschen aller Stämme, und fotografieren und filmen sei überhaupt kein Problem. Im Laufe des Tages hatte sich irgendwann bei allen herumgesprochen, dass wir Kameras hatten, die das Foto sofort auf den Display anzeigen- dass sich das ganze aber nicht so leicht ausdrucken lässt war schwerer zu erklären. Dennoch hatten so viele Spaß an Bildern, dass wir bald keine Minute Ruhe mehr hatten, weil ständig jemand fotografiert werden wollte. Verärgerte Stimmen meldeten sich danach nicht mehr zu Wort.

Den Tag verbrachten wir nun eigentlich damit, auf den Höhepunkt, die Besteigung der Bung’eda zu warten. Zu dieser Zeremonie gehört, dass spezielles Gras von irgendwo her herbeigebracht wird, woraufhin noch eine bestimmte Zeit gewartet wird, bis das Gras (auch das „Haar des Alten“ genannt) auf die Spitze des Lehmhügels kommt. Die Zeit verbrachten wir damit, bei den Tänzen zuzusehen, unsere Fotos und Filme zu machen und uns mit den Leuten zu unterhalten. Von vielen Leuten hatte ich bereits gehört, dass Frauen bei den Barbaig keine Rechte haben. Findet ein solcher Tanz wie bei diesem Fest statt, kann das Mädchen hinterher einfach auch gegen ihren Willen mitgenommen werden, sagten viele. Bei Hochzeitsfragen wird höchstens ihr Vater, bestimmt aber nicht sie gefragt. Ich fragte einen jungen Mann danach und er sagte: Klar, ein Mädchen zu nehmen sei so leicht wie Wasser holen. Ob er seine Frau auch so bekommen hätte, fragte ich ihn. Nee, sagte er, bei ihm beruhte alles auf gegenseitigem Einverständnis. Und seine Tochter würde er auch fragen, welchen Mann sie auch haben will. Mit einem anderen Mann redeten wir über seine vier Frauen, die alle um die acht Kinder geboren haben, und baten ihn, alle Namen der Kinder in der richtigen Reihenfolge aufzuzählen. Manche Namen wiederholte er (die Frau wollte den fünften Sohn wirklich nochmal so nennen wie den zweiten!), andere brachte er durcheinander, aber ob es am Honigwein oder an Unwissen lag weiß ich nicht. Für Barbaigmänner ist es üblich, je nach Vermögen mehrere Frauen zu haben. Uns war außerdem aufgefallen, dass die Tänzerinnen alle verdammt jung aussahen. Meine Barbaig-Arbeitskollegin hatte mir einmal gesagt, dass Mädchen ab 15 verheiratet werden, hier sagte nun ein anderer, das Alter beginne schon bei 13 oder 12, ab dem Zeitpunkt, zu dem man die Brüste erkennt. Und länger als 18 Jahre bleibt keine unverheiratet.

Wir saßen gerade irgendwo im Schatten, als wir gerufen wurden: das Gras komme! Wir liefen durch die Büsche zur singenden, Stöcke hoch tragenden und schnell vorwärtslaufenden Wabarbaiggruppe mit den besonderen Blättern. Die habe ich letztlich kein einziges mal gesehen, aber das Beste war die Zeremonie. Die Sonne ging gerade unter, etliche waren bereits den Gesängen gefolgt und rannten nun an allen Seiten neben der geschlossenen Gruppe mit, andere versuchten in den Bäumen die beste Aussicht zu bekommen, Unmengen von Staub wurde aufgewirbelt. Die Reise endete vor der Bung’eda, die von den Menschen umkreist wurde, ich fand einen Platz hinter den versammelten alten Barbaigfrauen. Und mit dem Sonnenuntergang begann ein neuer Tanz: nun sprangen die alten Mütter vor der Bung’eda und sangen ihre Gesänge, ein paar Kinder sprangen mit. Wir sahen dem eine Weile zu, aber es schien sich weiter in die Länge zu ziehen, darum wollten wir später wieder kommen.

Neben den Wabarbaig war der Stamm der Iraqw auf dem Fest auch stark vertreten. Iraqw und Barbaig ähneln sich in ihrer Kultur (ursprünglich alle Viehhalter, das Tragen von Shukas, Körpermodifikation und das Heiraten mehrerer Frauen sind ein paar Gemeinsamkeiten), mir wurde mal erzählt, der Stamm der Iraqw sei aus einer Tochter eines Barbaig entstanden. Viele Wabarbaig können die Sprache Kiiraqw, und auch sonst sind die zwei Stämme untereinander recht dicke. Somit war der andere große Tanz auf dem Fest der der Wairaqw. Hier stehen Männer und Frauen vermischt in einem großen Kreis eng beieinander, zwei Mädchen in der Mitte schlagen Trommeln, die Stöcke werden vor ihnen auf dem Boden abgelegt, und so springt der Kreis synchron immer wieder in die Höhe. Ein einzelner singt in der Stammessprache, die Masse gibt brummende rhythmische Geräusche dazu, bis jener Sänger mit einem Aufschrei endet und der Kreis darauf ebenfalls mit einem Aufschrei in die Mitte springt.
Hier fühlten wir uns gleich willkommen, gehören wir doch nach so vielen Monaten mit Wairaqw selbst fast zum Stamm dazu, und sprangen und tanzten fröhlich mit. Eine Frau lud mich in die Mitte ein und so sprangen wir zusammen mit anderen Einzeltänzern vor den staunenden, sich über uns freuenden Stammesmitgliedern. Es hat wirklich Spaß gemacht.

Es wurde dunkel, wir gingen zurück zur Bung’eda und versuchten uns gute Plätze zu sichern. Ich war damit weniger erfolgreich, um ein bisschen was zu sehen ließ ich George und Jonas allein und stellte mich an anderer Stelle zu zwei Männern und einer Frau, die mir das Geschehen nochmal ein bisschen erklärten. Der Sinn der Bung’eda ist ja die Erinnerung an den Verstorbenen. Im Glauben der Barbaig geht die Seele zu Gott („Aseta“), aber auf irgendeine Weise scheint der Körper weiterzuleben. Meine Kollegin hatte mir erzählt, dass ihr Großvater und Vater „Waganga“- Witchdoktor, Medizinmänner, wie immer man es nennt- gewesen waren. Als Kinder haben sie oft über die Gräber Milch geschüttet, so als seien die Männer im Grab noch am Leben. In diesem Lehmhügel wurde uns noch bei Tageslicht ein Loch gezeigt, um das Bienen herumflogen. In dieses Loch wird täglich Milch, Honigwein und Tabak geschüttet- es wird auch der „Mund des Alten“ genannt. Begraben werden die Toten außerdem nicht im Sarg, sondern in sitzender Position, mit einer Shuka um den Körper.
Weiter wurde mir erzählt, dass der Mann acht Frauen gehabt hatte, und jeweils der älteste Sohn einer jeden Frau den Hügel besteigen würde, um an der Spitze für den Vater zu beten. In diesem Fall würden aber nur fünf den Hügel besteigen: drei haben möglicherweise Sünden auf sich, weshalb sie nicht für ihn beten dürfen. Vielleicht haben sie jemanden umgebracht. Jonas erhielt an anderer Stelle die Information, dass ein Sohn verstorben und eine Frau keinen Sohn geboren hat. Was nun von all dem stimmt weiß ich nicht.
Wir wurden mehrmals gewarnt, jetzt nicht mehr zu sprechen, und irgendwann leisteten die Männer dem Folge. Die Wächter gingen mit Stöcken um die im Kreis versammelte Leute und warnten die, die weiterhin murmelten. Außerdem sollten alle Kopfbedeckungen ausgezogen werden- ein Wächter griff mir in die Haare und zog an ihnen, bis er kapierte, dass das keine Mütze ist. Gewünscht war absolute Stille. Das einzige Geräusch war ein tiefes Pfeifen, das immer wieder aus verschiedenen Richtungen kam. Es war stockdunkel, Taschenlampen blinkten auf und gingen wieder aus, am Himmel nur Sterne ohne Mond, und das Pfeifen jagte einem eine Gänsehaut ein. Was nun auf dem Hügel geschah konnte ich überhaupt nicht sehen. Ich sah die Silhouette eines heraufsteigenden Menschen und hörte leises Murmeln von oben. Nach einer Weile verließ ich den Kreis und setzte mich an die Wand einer der Hütten, aus der Licht vom Feuer kam, um auf das Ende zu warten. Es waren nicht alle Menschen um die Bung’eda versammelt, andere saßen in den Hütten und tranken Honigbier, andere hatten sich bereits im Freien unter ihre Shukas schlafen gelegt, andere aßen unter den Plastikplanen zu Abend- alles war voller Menschen. Als der letzte Sohn abgestiegen war war die Zeremonie vorbei, und die Männer begannen zu singen. Die Leute liefen singend im Kreis um die Bung’eda, der Gesang der Frauen war ein lauter Schrei aus einer anderen Richtung. Als auch das zum Ende kam telefonierten Jonas, George und ich uns wieder zusammen und gingen erstmal Tee trinken.

Wir hatten bereits am Morgen beschlossen, dass wir die Nacht auf der Bung’eda schlafen wollten. Alle angereisten Besucher schlafen dort, und uns wurde versichert, dass wir in einem der Häuser eine Ecke bekommen würden. Somit machten wir es am Morgen wie die Wabarbaig und Wairaqw vor vielen Jahren: wir wachten morgens mit unserer Shuka (Kiswahili für Bettdecke übrigens) auf, zogen sie uns als Kleidungsstück über die Schultern (und fielen nun unter den Leuten nicht mehr so stark auf) und zogen sie dann nachts wieder aus, um sie wieder als Bettdecke zu verwenden. Wir wurden von einem Wächter, der versprochen hatte, uns etwas zu organisieren, in eine Hütte mit einer Feuerstelle geführt. Auf die Erde wurde eine Plastikplane gelegt, und auf der konnten wir schlafen. Wir waren früh dran mit schlafen, es gingen zunächst viele Leute ein und aus, aßen in dem Raum, tranken, gingen wieder, bis sich andere mit dazu schlafen legten und irgendwann der gesamte Raum gefüllt war, dass man im Liegen unbequem eingeengt wurde. Ich lag zwischen Jonas und ein paar Holzbrettern an der Wand, das heißt mit halbem Körper auf diesen Brettern, aber an Schlaf war in dieser Nacht eh nicht zu denken. Es war so bitter kalt, wie ich es noch nie in meinem Leben erlebt habe. Nach einer Weile zog ich mir erst Pulli, dann Socken, dann die Kapuze an, aber die Kälte ließ kein bisschen nach. Ich glaube, ich hab keine Minute in dieser Nacht geschlafen. Aus anderen Häusern kamen Gesänge, mal von Männern, mal von Frauen, die ganze Nacht hindurch, die ich leider nicht genießen konnte, weil ich so erbärmlich fror. Wir waren alle froh, als Jonas um fünf verkündete, dass wir gehen mussten, um noch rechtzeitig den Bus zu kriegen. Auf dem Fußmarsch zurück unter Sternen und Neumond wurde uns dann langsam auch wieder wärmer, pünktlich zu Sonnenaufgang waren wir wieder im Dorf. Jonas und George nahmen den Bus zurück nach Haidom, ich fuhr in die andere Richtung weiter nach Katesh, um von dort nach Dareda weiterzufahren. Mit mir zugestiegen war eine große Gruppe von Wabarbaig, die Frauen immer noch in ihren Lederkleidern, andere bereits umgezogen in Alltagskleidung. So viel ursprüngliche Kultur, wie sie auf der Bung’eda gelebt wurde, findet man vermutlich sonst nirgendwo mehr in Tansania…

Montag, 11. Juni 2012

Geschichten aus der Klinik

Ich arbeite im „St. Agnes Health Centre Mwanga“. Ein Health Center (Kituo cha Afya) ist größer als eine Dispensary (Zahanati) und kleiner als ein Krankenhaus (Hospitali). Was das St. Agnes zu einem HC macht ist das dieses Jahr fertig gestellte Spital mit zwei Schlafsälen mit jeweils etwa 15 Betten, inklusive Toiletten, Licht und fließendem Wasser. Darüber hinaus gibt es ein Labor, die „Klinik“ für Schwangere und Kinder inklusive Impfungen, den Entbindungsraum, die OPD für Spritzen jeder anderen Art, ein Arztzimmer und die Apotheke. Lasst uns ein paar der Räume mal genauer ansehen:

Im Spital haben wir zwar viele Betten, aber meistens sind nur ein bis fünf davon belegt, die Patienten sind häufig Kinder und noch häufiger haben sie Malaria. Malaria, nur so nebenbei, kann den Patienten wirklich flach legen, aber mit Malariamedikamenten- die auch schon beim geringsten Anzeichen verschrieben werden wie Bonbons- ist man nach drei Tagen wieder fit auf den Beinen. Für größere Leiden gehen die Leute meist entweder gleich ins Krankenhaus oder werden von uns dort hingebracht. Aber manchmal bleiben sie doch. So hatten wir vor kurzem eine erwachsene Frau mit Masern. Sie hatte (hab ich mir sagen lassen) den Ausschlag und eine Wunde im Rachen, nach fünf Tagen war sie gesund und ging nach Hause. Zur etwa selben Zeit kam ein Mann mit AIDS im fortgeschrittenen Stadium- mager, mit Ausschlag und geistig verwirrt- aber das Problem, wegen dem er kam- er konnte nicht schlucken- konnte behandelt werden. Der für alle interessanteste Fall bisher aber war ein Mann, der mitten in der Nacht, gemeinsam mit vielen lärmenden Leuten, eingeliefert wurde: als er nachts im Ziegenstall Unruhen hörte wollte er nachsehen und wurde dabei vom Unruhestifter, einer Hyäne, in die Hand gebissen. Im Laufe des Tages kamen viele Schaulustige, um ihm ihr Mitleid („Pole“) auszudrücken- sein größeres Problem war zunächst, dass er so von der Hyäne gezogen wurde, dass er mit dem Kopf gegen etwas stieß und sich noch bis zum Mittag an nichts erinnern konnte- aber einen Tag später war er auch wieder entlassen. Blieben nur noch die Tollwutimpfungen im Krankenhaus.

Neben den Impfungen für die Kinder gibt es in der Klinik noch die prophylaktische Tetanusimpfung für schwangere Frauen, die keinen Nachweis über vergangene Impfungen haben, sowie alle, die mit einer größeren Wunde ins HC kommen. Meistens sind es Fahrad- oder Motorradunfälle, aber im Smalltalk über die Ursache der Wunde kommt man manchmal auch zu interessanten Geschichten. Ein Mann erzaehlte mal, er wurde von einer Schlange gebissen, einer richtig Großen, als er aus einem Wagen stieg. Ein anderer Mann wurde auch gebissen, aber anders: man weiß nicht, ob im Suff oder im Streit, aber er hatte wohl einen Nachbarn verärgert, und dieser hatte ihm- die halbe Nase abgebissen! Ich sah ihn erst, als er nach einem Monat zur zweiten Impfung kam, er versuchte, das Loch mit der Hand zu verdecken. Die Geschichte bekam ich von meiner Kollegin, die ihn an jenem Tag verbunden hatte. Sie sagte, jener Nachbar wird wohl nun nach Iraqw-Tradition zwei Kühe Schadensersatz zahlen. Aber was nützt das jetzt noch, die Nase ist weg.

Der spannendste Raum ist mit Abstand der Entbindungsraum. Kinder werden dort täglich geboren. Manchmal nur ein oder zwei an einem Tag, zu Ostern kamen gleich fünf Kinder in einer Nacht. Ich war am Anfang fassungslos, wie selbstverständlich dort mit den gebaehrenden Frauen umgegangen wird; die Schwestern gehen ein und aus, manchmal wird nebenher Boden gewischt, wenn der Kopf bereits herausguckt, oder die Tür wird offen in den Gang stehen gelassen. Aber nach zwei, drei mit angesehenen Geburten hab ich mich selbst daran gewöhnt- die Muetter selbst kennen es ja auch nicht anders. Hier werden wahnsinnig viele Kinder geboren, und die allermeisten Geburten verlaufen problemlos. Viele Frauen haben eine unglaubliche Selbstdisziplin und zeigen kaum etwas von den Schmerzen, sie werden routiniert angeleitet, richtig zu pressen und zu atmen, und dann geht alles auf einmal ganz schnell und wenige Minuten später haben sie ihr Kind- das erste, zweite, fünfte oder achte- an der Brust. Bei falscher Lage des Kindes, einem besonders großen Baby oder anderen Regelabweichungen werden die Mütter ins Krankenhaus gebracht- oder sie fahren, wenn sie es noch können, für weit weniger Geld mit dem Bus. Erst vor kurzem wurde ein Freund bei einer Busfahrt Zeuge einer Geburt im Bus- er erzaehlte, die Frau wurde so gut es ging mit Tuechern abgeschirmt, und das naechste was er sah war das neugeborene Baby... Aber manchmal geht eben doch etwas schief. An einem Abend rief mich Mama Ingi in die Klinik, eine Frau hatte eine Fehlgeburt. Weil das Licht nicht reichte hielt ich die Taschenlampe, damit der Arzt bei der Arbeit etwas sehen konnte. Wenige Tage später kam eine andere Frau blutend ins Ärztezimmer, das ganze wiederholte sich (diesmal bei Tageslicht)- woran es gelegen hat versuchte man hinterher herauszufinden. Die häufigste Ursache sind Syphilis oder Malaria, oder schwere Hausarbeit- die ja oft doch bis zum Schluss die Arbeit der Frauen bleibt. Ein anderes mal wurde eine Frau mit ihrem Kind mit dem Krankenwagen gebracht. Das Baby wurde hektisch auf den Tisch gelegt und noch versucht zu beatmen, aber es war bereits tot. Die Mutter wollte zu Hause entbinden, aber das Baby kam mit den Füßen zuerst und ist erstickt. Eine andere Frau kam vor kurzem mit Zwillingen im Bauch in die Klinik. Mama Ingi kam spät abends nach Hause und erzählte, dass der eine gesund sei, aber der andere tot geboren wurde; wir sind zusammen ins HC und sie hat es mir gezeigt. Die Knochen waren unnatürlich weich und der Kopf nach innen eingedrückt, und es war vermutlich schon vor zwei Tagen gestorben. Was das gewesen war konnte sie mir auch später nicht sagen…

Aber da ich die mit Abstand meiste Zeit in der „Klinik“ verbringe bekomme ich da natürlich auch das meiste mit. Ich habe neulich mal ein bisschen mit unseren Zählergebnissen (September – April) herumgerechnet und ein paar Statistiken aufgestellt: im Monat wiegen wir im Schnitt 531 Kinder im HC, das sind 31 Kinder pro Tag. Hinzu kommen die Kinder in Kidarafa- der eine Outreach-Kliniktag im Monat macht 29% aller gezählten Kinder. Im April hatten wir die meisten Kinder (874), im Dezember die wenigsten (640). Pro Monat werden 73 neue Kinder und 78 neue Schwangerschaften registriert. 4% aller gewogenen Kinder haben 60-80% des erwünschten Gewichts, knapp 1% liegt unter 60%. 12 Schwangere kommen pro Tag zur monatlichen Untersuchung, 12% sind jünger als 20, 32% haben schon vier oder mehr Schwangerschaften hinter sich. Ohne Zahlen kann man zusammenfassend sagen: die Frauen werden häufig und jung schwanger, es gibt viele Kinder, und die allermeisten Kinder sind normal, gesund und entwickeln sich gut. Aber es sind natürlich die Ausnahmen, die einem in Erinnerung bleiben, so wie die größte Schwangere, die ich gemessen hab (1,90m) und die kleinste (1,45), die älteste (45) und die jüngste (16). Ein anderes Mädchen war 17 und schon zum zweiten mal schwanger. Letztes Jahr kam eine 19-jährige, die gerade 38 Kilo auf die Waage brachte; mittlerweile kommt sie mit ihrem gesunden Sohn monatlich zur Untersuchung. Von den wenigsten erfahre ich mehr als das, was auf der Karte eingetragen wird. Warum zwei von fünf geborenen Kindern gestorben sind, warum manche während der ganzen Schwangerschaft keinen Kilo zunehmen. Wenn Kinder in einem Monat nicht zunehmen fragen wir, woran das liegt. Oft sind sie krank, heißt es, manchmal verweigern sie noch feste Nahrung. Und manchmal frage ich Mama Ingi nach den Leuten und bekomme den Hintergrund dazu.
Eines Tages kam eine Gruppe von fünf Kindern und einem Hund in die Klinik. Das älteste Mädchen war vielleicht 8 und trug das jüngste auf dem Rücken. Es wurde gewogen, die Waage zeigte fünfeinhalb Kilo- das Kind war eineinhalb Jahre alt! Ich rief die Krankenschwester und die sagte, das seien Waisen. Die Mutter sei bei der Geburt des letzten gestorben. Und so band sich das Mädchen das Kind wieder auf den Rücken und die Gruppe ging. Zu Hause erzählte Mama Ingi weiter: die Mutter hat zu Hause entbunden, es gab Komplikationen, und bis der Wagen des HC da war war sie bereits verblutet. Die Kinder kamen erst ins Krankenhaus nach Haidom und dort fand sich eine Europäerin, die das Baby adoptieren wollte, aber die Großmutter war dagegen. So blieben alle in der Familie. Der Vater trinkt, vermutlich kümmern sich alle Verwandte ein bisschen um die Kinder, aber niemand so richtig. Auf der Karte des Kindes war jeden Monat das Gewicht eingetragen, es war seit seiner Geburt im roten <60%-Bereich. Aber seither hab ich es nicht wieder in der Klinik gesehen.
Eine andere Mutter hatte ich bereits öfter mit ihrem juengsten Kind gesehen, an einem Tag kam sie schliesslich mit allen ihren fuenf Kindern und dem sechsten im Bauch in die Klinik. Das Kind hat eine ausgepraegte Lippenspalte, ich hatte so lange gedacht, das sei mal ein Unfall gewesen, bis ich sah, dass zwei seiner Geschwister die selbe Spalte haben und Mama Ingi es mir erklaerte. Die Mutter selbst hat eine Gaumenspalte und kann darum nicht richtig sprechen. Nun wog sie also alle ihre Kinder, und alle Kinder hatten ein Gewicht im grauen Bereich. Das Problem ist das altbekannte. Der Vater trinkt, die Arbeit mit Haus, Feldern und Kindern bleibt bei der Mutter. Sie verkauft ein bisschen Feuerholz, um etwas Geld zu bekommen. Und nun ist ein neues Kind unterwegs- viele Wairaqw haben sich noch nicht an Schwangerschaftsverhuetung gewoehnt, sagt Mama Ingi, ganz besonders auf dem Land. Sie finden, es sei leichter, ein Kind zu kriegen als zu verhueten. Das Problem mit der Lippen-Gaumenspalte bei den Kindern kommt noch zusaetzlich dazu. Die Operation, um den Fehler zu richten, ist simpel, ins Krankenhaus nach Haidom kommen regelmaessig Flying Doctors, die das durchfuehren- aber Geld fuer die Operation haben sie nicht...

Es gibt noch viel mehr, was ich am Rande mitbekomme, wovon man mir erzaehlt, oder was man mir nicht erzaehlt, oder was hier im Detail zu schreiben unangebracht waere. Stoff fuer Fortsetzungen gaebe es genug.

Samstag, 2. Juni 2012

Fortbewegungsmittel in Tansania

Heute geht es fuer einen Wochenendausflug nach Kartesh, den Hanang besteigen. Das nehme ich mal zum Anlass fuer eine kleine Zusammenfassung meiner Reiseerfahrungen nach neun Monaten, drei groesseren und etlichen kleinen Reisen in und aus Mwanga:

Füße (Miguu)
Sind tagsüber für Stecken bis zu etwa 5 km, wenn der Bus verpasst wurde auch bis zu 20 km, die bevorzugte Fortbewegungsart. Auf dem Land ist auf passendes Schuhwerk zu achten, da manche Dornen auf dem Boden auch Turnschuhe durchbohren können und man nach Regen unter Umständen durch kleine Flüsse oder knöchelhohen Schlamm waten muss – zu empfehlen sind daher Autoreifenschuhe (auf jedem Markt für umgerechnet 1,50 € zu kaufen). Will man abends noch zu einem Spaziergang aufbrechen, sollte man darauf achten, dass mindestens Halbmond und der Himmel klar ist, wenn man den Weg nicht bereits so oft gelaufen ist, dass man ihn auch mit geschlossenen Augen findet. In Städten sollte man sich zuvor Empfehlungen von Einwohnern anhören; so erfährt man zum Beispiel in Karatu, dass man nach 11 Uhr abends von der Polizei aufgegriffen werden kann, wenn man noch auf der Straße ist (ob man dann auch darauf hört ist etwas anderes).

Fahrrad (Basikeli)
Da fast niemand ein Auto besitzt fahren umso mehr Menschen Fahrrad, und wenn in einer Gegend fast keine Busse fahren, fährt man damit auch schon mal zum Einkaufen oder zur Arbeit 25 km in die Stadt und wieder zurück. Auch oft zum Wasser holen verwendet, indem zwei zusammengebundene Wasserkanister über den Gepäckträger gespannt werden. Bin ich selbst nie gefahren, habe mir aber sagen lassen, dass bei regelmäßigem Gebrauch etwa einmal wöchentlich ein Reifen geflickt werden muss. Sind in der Stadt kaum anzutreffen.

Kuhwagen (Trela)
Von 2-4 Kühen oder Eseln gezogen; wird von denen, die einen haben, zum Wasser oder Holz holen oder für Feldarbeit verwendet und von anderen bei selber Reiserichtung mitbenutzt (um einen „lifti“ bitten). Kann schon mal schneller sein als ein Bus, wenn dieser auf der Straße liegen bleibt, und hat von allen Fortbewegungsarten den größten Spaßfaktor. Sieht man in der Stadt eher selten.

Motorrad (Pikipiki bzw. Bodaboda)
Motorradtaxis sind die günstige Alternative zu Autotaxis und die bequemere zu langen Fußmärschen mit Gepäck, gerade wenn man in einer neuen Stadt ankommt und den Weg nicht kennt. Eine Fahrt ist aber nichts für schwache Nerven. Der Zustand der Fahrzeuge ist mehr als reparaturbedürftig; mit Glück erwischt man eine Maschine, bei der nur der Tacho nicht funktioniert, mit Pech sind es die Bremsen. Einen Helm für die Fahrt gibt es nicht, und so düst man über Erdstraßen voller Schlaglöcher und Steine, durch Kuhherden hindurch und bei Regen vor allem durch Regenflüsse und Schlamm. In der Stadt ist das Ganze zu Hauptverkehrszeiten noch lustiger, wenn man sich millimeterdicht an Autos durch den Stau manövriert und der Fahrer prinzipiell davon ausgeht, dass Ampeln nur für Autos gelten. Ist man an einem Ort häufiger auf Pikipikis angewiesen, empfiehlt es sich, sich die Nummer des Fahrers seines Vertrauens aufzuschreiben und ihn bei Bedarf anzurufen; damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, einmal einen zugedröhnten Fahrer zu erwischen. Wenn man von all dem aber absieht- macht Pikipiki fahren einfach nur Spaß!

Auto (Gari) bzw. Taxi (Teksi)
Ein Auto haben die wenigsten, und die, die eins haben, gebrauchen es sparsam, da Sprit teuer ist. Taxis gibt es auf dem Land nicht, man kann höchstens mit Glück an der Straße einen Lifti auf einem Lastwagen erwischen; wenn man ein Auto trifft ist es vermutlich das der Pfarrer. In der Stadt sind Taxis bei viel Gepäck notwendig und nachts empfehlenswert, wenn man Angst vor einem Raubüberfall hat. In jedem Fall sollte man sich erstens davor über den gebräuchlichen Preis informieren, zweitens sich möglichst schon vor der Fahrt über den Preis einig werden, sich drittens darauf einstellen zu handeln und zu streiten, dass die Fetzen fliegen und viertens nicht vergessen, den Fahrer am Ende trotzdem freundlich und mit einem Lachen zu verabschieden.

Bajaja (Kenia: Trotro)
Bajajas sind eine dreirädrige Symbiose aus Roller und Auto mit Plastikplane als Wände und Dach. Sie sind billiger und flexibler als Taxis und können mehr Gepäck und Menschen transportieren als ein Pikipiki, außerdem kann man sich als Weißer vor potentiellen Räubern verstecken. Gibt es nicht in jeder Stadt und bin ich auch nur in Kenia gefahren, da sich fast immer ein Pikipiki empfiehlt, wenn man allein unterwegs ist.

Daladala (Kenia: matatu)
Daladalas sind Kleinbusse für 15-20 Leute, die bei Bedarf aber phänomenal viele Menschen aufnehmen können, solange sich die Tür noch irgendwie schließen lässt. Sie sind der öffentliche Nahverkehr in Städten und um diese herum. Eine Fahrt kostet etwa 20 ct, es gibt feste Strecken und mehr oder weniger feste Haltestellen, die für Fremde aber als solche nicht erkenntlich sind. Abfahrtszeiten oder gar Fahrpläne gibt es nicht, die meisten DDs fahren alle paar Minuten in eine Richtung, andere für weiter entfernte Ziele nur ein paar mal am Tag. Wenn man an einem DD-Busbahnhof ankommt ist darum meistens die einzige Möglichkeit, den richtigen Wagen zu finden, sich herumfragen. Auf vielen DDs steht das Endziel bzw. die Richtung zwar auf dem Wagen, aber darauf sollte man sich nicht verlassen, gerade wenn das Endziel nicht das eigene Ziel ist. Im Normalfall wird man aber gleich jemanden finden, der einem weiterhelfen kann und einen persönlich auch bis zum anderen Ende des Bahnhofs begleitet und in den richtigen Wagen setzt, ohne etwas dafür zu wollen. Dann aber sicherheitshalber trotzdem noch einen zweiten fragen, ob man hier tatsächlich richtig ist, oder ob es nicht einen anderen ähnlich klingenden Ort gibt.

Cruiser
Sind ebenfalls Kleinbusse, aber mit vorgegebenen Sitzplätzen und meist in technisch besserem Zustand, und werden für beliebte, längere Stecken von Stadt zu Stadt verwendet. Eine Cruiserfahrt ist ein bisschen teurer als die selbe Strecke mit dem Bus, aber zuverlässiger und vor allem schneller, da hier meist pünktlich und in einem Zug durchgefahren wird, ohne in den Dörfern zu halten. Der Komfort lässt zu wünschen übrig, da in eine Sitzreihe eine Person mehr eingeplant wird, als es bequem wäre. Bleibt nur zu hoffen, dass der Fahrer sich beim Überholen nicht überschätzt und im Schlamm stecken bleibt, sodass man schließlich den Bus an einem vorbeifahren sieht, während die Männer versuchen, den Wagen zu befreien…

Bus (Basi) – Kurzstrecken
Kurzstrecke meint hier eine Fahrtzeit von bis zu etwa 6 Stunden zwischen weniger großen Städten, wobei überwiegend oder ausschließlich auf Erdstraßen und damit durch Dörfer, Felder und Wildnis gefahren wird. Die Busse sind von der Form her einmal Reisebusse gewesen, bis sie zerlegt und aus Ersatzteilen neu zusammengebaut worden sind; die Pexiglasfenster haben Sprünge oder fehlen ganz, die Sitze sind hundert mal gerissen und fünfzig mal geflickt worden und manchmal findet man ein Loch im Boden, durch das man die vorbeiziehende Erde sehen kann – aber sie fahren. Sie fahren ein bis paar mal am Tag und Abfahrtszeiten sind fest, richten sich aber nach Fahrgastanzahl, so dass auch 45 Min zu spät oder 10 Min zu früh abgefahren werden kann. Die Fahrgastanzahl dagegen ist unbegrenzt, und das ist wörtlich zu nehmen: an einem Markttag war der Bus so vol, dass Jonas während der Fahrt auf den Füßen eines anderen stand und ich mit halbem Körper aus der offenen Tür hing. Hinzu kommt das Gepäck der Passagiere, da diese Busse oft der einzige Weg sind, Verkaufsgut wie Reissäcke, Sodakisten oder einen Bund zusammengebundener lebender Hühner zu transportieren – all das findet Platz auf dem Dach oder im Gang, was das Durchqueren schon zu einem Abenteuer macht. Steigt man auf halbem Weg zu gibt es Richtuhrzeiten, zu denen der Bus für gewöhnlich vorbeifährt. Wenn man ankommen will sollte man pünktlich sein. In 9 von 10 Fällen wird man der erste an der Haltestelle sein und 0.5-2 Stunden auf den Bus warten, aber der Tag, an dem man selbst ein paar Minuten später kommt wird der sein, an dem der Bus schon vor einer halben Stunde vorbeigefahren ist. Manchmal kommt er auch gar nicht, weil er auf der Fahrt kaputt gegangen ist. Wenn man dabei gerade selbst im Bus sitzt kann man aussteigen, an einem nahegelegenen Kiosk eine Soda trinken und zusehen, wie die Busarbeiter diverse Wagenteile aus- und andere Teile einbauen, und seien es auch Äste vom Baum am Wegesrand. Wenn auch das nicht hilft kommt nach ein paar Stunden vielleicht ein Ersatzbus, der einen doch noch ans Ziel bringt. Wenn nicht, dann blöd gelaufen.

Bus – Langstrecken
Das sind die Busse, die auf den asphaltierte Straßen meist ab früh morgens von Großstadt zu Großstadt fahren. Es sind Reisebusse in gutem Zustand, jeder bekommt einen Sitzplatz zugeteilt und manchmal gibt es im Bus sogar einen Fernseher und gratis Soda und Kekse. An guten Tagen sitzt man dann bequem am Fenster, hat einen netten Sitznachbarn für Gespräche, lässt die atemberaubende Landschaft an sich vorbeiziehen, während der warme zugwind einem ins Gesicht weht und kauft von Zeit an den Zwischenstationen Obst, Chips oder Getränke von den herbeieilenden Verkäufern durch das Fenster durch. Mit Mangos, Cashewnüssen, Maiskolben oder Avocadosaft lässt sich die 10-stündige Fahrt dann noch besser genießen. An einem schlechten Tag wurde man trotz gutem Kiswahili wieder einmal beim Preis reingelegt, man verlässt nach einiger Zeit plötzlich die Asphaltstraße, es fängt an zu regnen, man kämpft sich durch den Schlamm und bleibt schließlich mitten im Nirgendwo doch in diesem Stecken, so dass aus 9 Stunden Fahrt doch 14 Stunden werden (es könnte daran liegen, dass man statt nach Dar es Salaam nach Kigoma unterwegs ist…) Die Busse sind jedenfalls die einzige Reisemöglichkeit für lange Strecken, wenn man sich nicht gerade ein Flugicket leisten kann.

Schiff (Meli) bzw. Boot (Boti)
Schiffe fahren auf dem Viktoriasee, Tanganikasee, Malawisee und am Ozean, mit drei Arten bin ich gefahren. Von Kigoma (-> Tanganikasee) zum Gombe Nationalpark kamen wir mit einem Wassertaxi, ein großes Motorboot, das zwei mal am Tag in diese Richtung vollgeladen mit Fracht und Menschen den Hafen verlässt und an der Küste entlang an diversen Fischerdörfern hält. Nach Gombe sind es zwei Stunden Fahrt, in der man Zeit hat, mit seinen Nachbarn Kekse und Ananas zu tauschen, während die Sonne knallt und man sich nur mit einem nassen Tuch abkühlen kann. In Mwanza (-> Victoriasee) fährt mehrmals täglich eine Fähre zwischen der Stadt und der Straße nach Geita, die vor allem LKWs, Busse und Dalladallas transportiert. Wenn man mit dem Bus kommt steigt man aus, kauft sich ein Fährenticket (20 ct) und verbringt die halbstündige Fahrt auf den Bänken an der Reling an der frischen Luft. Bei der Ankunft sollte man sich beeilen, erstens schnell und zweitens in den richtigen Bus zur Weiterfahrt zu steigen. Von Dar es Salaam aus (-> Ozean) sind es Schiffe, die einen nach Sansibar bringen. Jedes hat seinen eigenen Namen und Einwohner haben ihre Lieblingsschiffe, um an das jeweilige Ufer zu kommen. Tagsüber dauert die Fahrt 2-4 Stunden. Drinnen gibt es eine Klimaanlage, viele Sitzplätze und Getränke und Essen zu kaufen, draußen im obersten Stockwerk kann man den Ozean angucken, bis man seekrank wird, und sich dann auf den Boden zu den anderen Fahrgästen in den Schatten schlafen legen. Ein Schiff gibt es, das nachts beide Häfen verlässt und am nächsten Morgen am anderen ankommt. Man spart sich eine Nacht im Gästehaus und schläft drinnen im Kühlen auf den Sitzen oder draußen in der nächtlichen Tropenhitze zwischen anderen Reisenden auf einer Decke auf dem Boden. Nicht vergessen, die Schuhe dabei unter der Decke zu verstecken, sonst darf man am Morgen barfuß weiterreisen (wenn man nicht noch seine Duschflipflops im Gepäck hat).

Zug (Treni)
Fährt von Dar über Dodoma und Tabora bis Kigoma, ist über hundert Jahre alt und bin ich nie gefahren, habe mir aber sagen lassen, dass es unzuverlässig, langsam und voll ist. War früher, als es noch nicht so viele Busse gab, auf dieser West-Ost-Strecke das gängige Reisemittel für Tansanis. Für den Zug als Reisemittel spricht nur der günstigere Preis im Vergleich zu Bussen auf der selben Strecke, für eine Reiseerfahrung lohnt sich die Fahrt bestimmt, wenn man 1, 2 Tage Puffer einplanen kann.

Flugzeug (Ndege)
Einen Flughafen gibt es glaube ich in jeder größeren Stadt, ein Flugticket können sich aber weder Tansanis noch Freiwillige leisten. Vom Reisespaß, den man verpasst, ganz zu schweigen.

Sonntag, 13. Mai 2012

Das Gras wird allmaehlich trocken...

Es ist ruhig geworden in Mwanga.
Die Gäste aus der Schweiz sind vor Wochen abgereist, die Feiertage sind vorbei, die engsten Freunde sind nun alle weg auf Schulen in weit entfernten Städten. Was bleibt ist ein erstaunlich durchstrukturierter Tag: Wasser holen um 6.30, Arbeit in der Klinik von 8.00 bis 13.00, Englisch unterrichten von 14.00 bis 16.00, dann eine Familie besuchen/Wäsche waschen/eine Stunde Laufen und im Anschluss bis 20.00 oder 21.00 Arabischunterricht zu Hause bei Jonas oder sich in einem Laden auf dem Weg von ihm zu mir nach Hause mit Leuten unterhalten. Dann essen, duschen, lesen, schlafen. Aber hier das alles etwas im Detail:

Nach drei Wochen hatten die Schweizer ihre Arbeit beendet: das Wasser im Spital fließt, die Lampen brennen, die 10.000l-Tanks stehen stabil, und so wurde ihnen zu Ehren eine Abschiedsfeier organisiert. An einem Dienstag nach der Arbeit versammelten sich Angestellte, Gäste und Schaulustige vor der Dispensary zum Fest. Eingeleitet wurde das Ganze von etwa 50 tanzenden, singenden, die Speere hoch tragenden Barbaigmännern, die auch bei ihren späteren Tänzen der interessanteste Programmpunkt für die europäischen und tansanischen Gäste waren. Am Abend zuvor wurde extra für die Herren noch ein Lied geschrieben und bei der Feierlichkeit von vier Schwestern vorgesungen, Geschenke wurden von den Arbeitern der Klinik (Kunstschnitzereien), den Barbaig (traditionelle Decken) und den Nyiramba (eine Ziege) als Dank überreicht. Während sich die Gäste nach dem Essen recht schnell verabschiedeten und, von Jonas und mir mit ihren Geschenken begleitet, noch zwischen der Barbaiggruppe tanzend nach Hause gebracht wurden, wurde vor der Klinik noch einige Zeit fröhlich im Tanz weitergesprungen, bis das Fest für beendet erklärt wurde. Am nächsten Tag fuhren die Schweizer davon, und mit ihnen die Techniker und Technikschüler, an die man sich irgendwie schon gewöhnt hatte. Da war die Mission auf einmal ganz schön leer ohne sie.

Die Arbeit in der Klinik hat sich seit einiger Zeit vervielfacht. Das hat vor allem zwei Gründe: einmal haben wir nach etwa einem halben Jahr neue Moskitonetzrezepte und Karten für die Kinder bekommen. In diese offiziellen Karten trägt man Namen, Geburtstag etc. des Kindes ein, sowie die Impfdaten und in eine schöne grün-grau-rote Tabelle das Gewicht des Kindes im jeweiligen Monat. Bis dahin haben die Mütter das Nötigste auf Zettel geschrieben bekommen. Und da so eine Karte noch zur Einschulung des Kindes erforderlich sein wird möchte jede Mutter ihren Zettel in eine solche Karte eintauschen. Das bedeutet für uns an der Rezeption: Unmengen von Schreibarbeit. Der andere Grund ist, dass es nun auf dem Feld keine Arbeit mehr gibt. Jetzt kommen nur noch die Ernten, und die Mütter haben Zeit, ihre Kinder mal wieder zum Wiegen zu bringen.
Um nun ein bisschen vor den täglich anfallenden Bergen von Karten und Moskitonetzzetteln zu flüchten- und da ich ja von Anfang an schon mit dem Labor liebäugel- habe ich nun begonnen, eben dort häufiger zu arbeiten. Das heißt, ich hab mich getraut zu bitten, dort mehr als nur Schreibarbeit machen zu dürfen. Und so springe ich nun wie meine zwei Kolleginnen und mein Kollege durch das Labor und pikse Kinder für Blutproben in die Finger, nehme Blut ab, schicke Leute mit keinen Dosen aufs Klo, teste selbst Typhus und Brucellar und schaffe es auch schon, Malaria unterm Mikroskop zu erkennen, da bei wenig Patienten genug Zeit ist, mir alles zu erklaeren und nachzukontrollieren. Dass uns vor einiger Zeit die Einweghandschuhe ausgegangen sind ist dabei das einzige Problem. Das findet mein Kollege nicht so wild und nimmt auch ohne Handschuhe den Patienten Blut ab, für Warmduscher wie mich gibt es aber immer noch sterile Handschuhe, die ich stattdessen verwende..

Mein zweiter Job nun ist seit einigen Wochen jener Unterricht der Pfarrer. Theoretisch treffe ich mich jeden Tag mit drei Erwachsenen und drei Kindern um zwei in der Schule, praktisch kommt meist nur die Hälfte (oder nur einer) und diese eine halbe bis ganze Stunde zu spät. Aber Spaß macht es trotzdem. Mit den Kindern weiß ich zwar nicht so viel anzufangen; sie haben die Grundschule (7 Jahre) nicht bestanden und sitzen dafür in diesem Secondary-Ersatzunterricht, ihr Level ist bei null, sie trauen sich nicht, mit mir zu sprechen und kommen nur etwa jedes fünfte mal. Aber die Erwachsenen sind motiviert und machen jede Übung, ohne sich zu beschweren, und ich meine, mir schon kleine Fortschritte einbilden zu können.

Das neuste aus der Landwirtschaft: Im Moment werden Zwiebeln geerntet, aber da wir unter Wairaqw leben und diese keine Zwiebeln anbauen, bekomme ich davon nur am Rande etwas mit (wenn ich beispielsweise den Bus verpasse und von einem Lastwagen mit Zwiebeln, die hier zusammengesammelt und dann nach Arusha gebracht werden, mitgenommen werde). Die dominierenden Früchte auf den Märkten sind nun Guaven und im Haus der Schwestern reifen Granatäpfel und Mandarinen. Unsere Familien aber beschäftigen gerade in erster Linie Sonnenblumen. Die Sonnenblumenernte neigt sich dem Ende zu. Die letzten Blumen trocknen vor sich hin, die meisten Felder sind bereits zu einem sonnenblumenkopflosen Stoppelfeld geworden. In meiner Familie wurde die Ernte komplett von bezahlten Arbeitern übernommen. Während die Blumen tagelang vor dem Haus auf einem Berg zum Trocknen auslagen hat jede Nacht ein betrunkener Barbaigmann auf ihnen als Wache geschlafen, damit niemand die Ernte klaut. Drei Tage lang haben Männer die Kerne aus den Blumen geschlagen und Frauen die Kerne von Staub und Stein befreit. Nun steht die dieses Jahr sehr kleine Ernte von etwa 35 Säcken voller Kerne bei uns im Haus. Ich hab es noch nicht geschafft, meiner Gastschwester das großzügige Angebot, einen solchen Sack als Geschenk mit nach Hause zu nehmen, auszureden, und dass sich auch 20 Liter Sonnenblumenöl schlecht transportieren lassen hat sie auch noch nicht verstanden.

So siehts also aus- es wird bereits über das Abschiedsgeschenk gesprochen. Vor kurzem bekam ich mein Rückflugticket per Email: 19. August um 3 Uhr nachts aus Dar es Salaam. Ich hätte fast im Internetcafe geweint. Als ich meiner Gastmutter sagte, dass ich nur noch vier Monate hier bin, hat sie sich selbst erschrocken. Die Zeit soll sich zurückdrehen, sagte sie, und das wäre wirklich das Beste. Liebe zukünftigen Tansania-Freiwillige, es war nicht schwer, sich an das Leben hier zu gewöhnen. Aber wie ich es wieder verlassen soll weiß ich selbst noch nicht so genau.

Donnerstag, 19. April 2012

Mwanga - und seine Kulturen

Die Stadt Singida liegt an der Verbindungsstraße von Mwanza zu Dar es Salaam. Wenn man an dieser Straße am Kreisverkehr dem Richtungsschild Mwanza folgt, sieht man kurz darauf rechts von der guten, asphaltierten Straße eine unscheinbare Abzweigung, eine Erdstrasse, die am See von Singida vorbei in die Felder führt. Zwei mal am Tag fährt ein Bus vier Stunden über diese Straße nach Haidom, das dank eines norwegischen Krankenhauses zu recht guter Infrastruktur gekommen ist. Und wenn man in diesem Bus eine halbe Stunde früher aussteigt, dann ist man in Mwanga.

Mwanga findet man auf keiner Landkarte, dabei ist der Name zumindest in der Gegend gut bekannt. Das Dorf selbst teilt sich in zwei Dörfer: Mwanga A oder Mwanga Mission, das im „Verwaltungsbezirk“ (Wilaya) Iramba liegt und Mwanga B, das im Bezirk Hanang liegt. Das Dorf Mwanga A liegt zudem im „Stadtkreis“ (Kata) Mwanga, zu dem auch die Dörfer Msiu, Nkalankala, Malaja und Kidarafa gehören, Mwanga B liegt im Kreis Hirbadaw. Die Aufspaltung in zwei Dörfer (die vor allem bürokratische Bedeutung hat) kommt daher, dass Mwanga dicht an der Grenze von Hanang und Iramba liegt: der Fluss, an dem wir Wasser holen und in dem wir schwimmen waren, teilt die Bezirke voneinander.

Der Grund für Mwangas heutige relative Größe ist vor allem die Gesundheitsstation. Vor etwa dreißig Jahren sah es hier noch anders aus: es gab keine Felder, wo heute vereinzelt Büsche wachsen war damals noch dichter Wald, es gab keine Wellblech-, sondern nur Grasdächer auf den wenigen Häusern und Tiere wie Löwen und Giraffen wurden noch hier gesehen. Damals herrschte ein Stammeskrieg in der Gegend, und eine Gruppe weißer Schwestern eröffnete einen Ort, um den Verletzten stammesunabhängig zu helfen: das Missionsdorf Mwanga war gegründet. Heute leben viele Menschen in Mwanga Mission, entlang zweier Straßen gibt es kleine Kiosks, Esslokale und Nähläden und ein Fußball- und Volleyballplatz bringt auch Nachbarn häufig ins Dorf. Die Gesundheitsstation selbst ist seit damals gewachsen, eine Schweizer Organisation half mit Krankenwagen, Strom und Wasser und hat zuletzt ein Spital gebaut, das in Kürze eröffnet werden wird, womit auch stationär Patienten aufgenommen werden können. Jene weißen Schwestern leben mittlerweile wieder seit einigen Jahren in ihren Heimatländern, die Erinnerung an sie und die Dankbarkeit für ihre Hilfe ist aber weiterhin bei allen Leuten lebendig. Ein weiterer Grund für Mwangas Entwicklung ist die später gegründete Kolpingsfamilie. In der Kolpingschule können Jugendliche Nähen und Schreinern lernen, was wegen der niedrigen Schulgebühren eine gute Alternative zur sehr schlechten Secondary School hier in der Gegend ist.

Die Stämme

In Tansania gibt es über 120 Stämme. Die gemeinsame Sprache Kiswahili und die gemeinsame Geschichte seit den Bemühungen des ersten Präsidenten Nyerere, das Land zu einen, haben zu einem erstaunlichen Einheitsgefühl der Tansanis beigetragen, dennoch spielen Staemme gerade auf dem Land noch eine grosse Rolle. Mwanga ist da durch seine bereits erwähnte Grenzlage eine Besonderheit: Hanang ist das Land der Stämme Barbaig und Nyaturu, in Iramba leben vor allem die Stämme Nyiramba und Iraqw.

Der Stammeskrieg vor 30 Jahren herrschte zwischen den Wabarbaig1 und Wanyiramba: ein Mitglied des einen Stammes hat einem des anderen Stammes eine Kuh gestohlen, der andere hat sie sich wieder zurück genommen (wer wen zuerst bestohlen hat hängt in der Erzählung davon ab, welches Stammesmitglied man fragt), und der Krieg begann. Viele Menschen starben, das Land wurde billig; der Konflikt legte sich irgendwann, aber ganz begraben wurde er nicht. 2004 wurden erneut Kühe gestohlen und der Krieg neu entfacht, wieder starben Menschen. Aber mittlerweile scheint man sich endgültig versöhnt zu haben. Wenige Wochen, nachdem jenem Mnyiramba-Mann Kühe gestohlen wurden (siehe Eintrag von den gestohlenen Kühen), hatte man eine von diesen in der Herde eines Mbarbaig entdeckt. Ob dieser sie nun gestohlen oder auf dem Markt gekauft hatte war nicht nachzuvollziehen, die Wanyiramba hielten daraufhin ein Treffen ab, es wurde angekündigt, man würde sich seine Kühe wieder zurückholen. Am Abend vor dem angekündigten Datum trafen wir unterwegs bewaffnete Wabarbaig, die aber versicherten, es würde keinen neuen Kampf geben. Und tatsächlich: nichts geschah. Die jungen Männer der Nyiramba weigerten sich. Sie können sich nicht mehr bekämpfen, sagte eine Mnyiramba, sie haben sich schon gegenseitig geheiratet. Monatlich gibt es einen großen Markt in Mwanga A und in Hirbadaw. Früher hat man in Mwanga A keinen einzigen Mbarbaig und in Hirbadaw keinen Mnyiramba getroffen. Heute treffen sich alle gemeinsam in der Ladenstraße, grüßen sich mit Handschlag- auch wenn man weiterhin lieber unter den eigenen Leuten bleibt.

Jeder Stamm hat seine eigene Sprache, seine Kleidung, seine Tänze, seine Kultur, wie auch seine Vorurteile anderen Stämmen gegenüber- obwohl man friedlich zusammenlebt, Wairaqw-Kinder mit Wanyiramba-Kindern aufwachsen und man sich bei Festen oder Unglücksfällen als Dorf-, nicht als Stammesgemeinschaft unterstützt. An einem Abend war ein Nyiramba-Freund meiner Iraqw-Familie bei uns zu Besuch, der sehr interessiert an meiner Heimat war, bis das Gespräch auf die Stämme kam und er sich schließlich mit meiner Gastmutter ebenso angeregt über die kulturellen Unterschiede zwischen ihren jeweiligen Stämmen unterhalten hat wie anfangs über die tansanische Kultur und meine. Als ich auf einer Barbaig-Hochzeitsfeier war kam nach einiger Zeit eine junge Frau im traditionellen Barbaig-Hochzeitsgewand (ein perlenbesticktes Lederkleid) wie alle anderen, die aber ähnlich fremd unter den Frauen stand und alles ebenso verwundert beobachtete wie ich. Sie sei Mnyiramba, sagte sie mir, und hätte einen Mbarbaig geheiratete, darum das Kleid und die Einladung.
Hier aber nun eine kurze Vorstellung der drei Stämme in Mwanga:

Barbaig

Wabarbaig lassen sich auf den ersten Blick am leichtesten von den anderen unterscheiden: von ihnen tragen die allermeisten Männer und Frauen rote Ngororis (karierte Decken, die auf verschiedene Art um den Körper gewickelt werden), viele haben weit gedehnte Ohrlöcher oder kunstvolle Narben im Gesicht als Verzierung, und manchmal trifft man Frauen auch komplett geschmückt mit Perlen, mehrmals um den Hals gewickeltes Eisen, Unmengen von Metallarmbändern und im Lederkleid auf dem Weg. Man könnte sie spontan mit den Maasai verwechseln- tatsächlich waren sie früher auch Nomaden und ihre Sprache soll wohl mit der der Maasai verwandt sein. Hier in Mwanga leben sie am ursprünglichsten von allen in ihren mit Baeumen umzäumten Lehmhäusern, ueberwiegend weit verstreut im Busch der Hanang-Hügel. Eine Arbeitskollegin, selbst Mbarbaig, sagte mit, dass Mädchen nach wie vor ab 15 verheiratet werden, und in der Klinik sind es meistens sie, die ihren Namen nicht schreiben können. Unter den Wairaqw- die, mit denen ich gesprochen habe- geniessen sie einen respektvollen Ruf. Bekannt sind sie für ihre Kampfkünste, die man hier zu Zeiten des Krieges miterleben durfte. Es heißt, ein Barbaig-Mann kann 30 Wanyiramba schlagen, obwohl sie „nur“ mit Speer, Pfeil und Bogen kämpfen. Er könne, erzählte man mir, drei Pfeile auf einmal abschießen und mit allen treffen, und einen Speer werfe er so genau, dass er im Nacken des Opfers lande. Dies mag mit ein Grund sein, warum sich die Wanyiramba auf keinen neuen Krieg einlassen wollten… Einen Einblick in die bunte Seite der Kultur bekamen wir, als sie anlässlich der Abschiedsfeier für die Schweizer zum Tanzen eingeladen wurden. Über 50 Männer kamen als geschlossene Gruppe mit erhobenen Stöcken und Speeren singend zur Feier, dazu wurde auf einem Lederschild getrommelt, im Tanz sprangen sie gestreckt in die Höhe, und das stammesgemischte Publikum beobachtete alles genauso interessiert wie wir europäischen Gäste. Der Tanz der Frauen auf jener Hochzeitsfeier sah ähnlich aus, nur waren sie dort, da Männer an diesem Tag der Feier nicht kommen durften, mit dem An- und Miteinander-Tanzen viel freier und freizügiger untereinander.

Nyiramba

Als ich mich mal in Arusha mit ein paar Fremden über Stämme und ihre Eingenarten unterhielt, sagten sie über die Wanyiramba, sie seien- Waswahili2. In diesem Zusammenhang heißt das: unspektakulär, normal. Sie haben keine spezielle Kleidung, ihr Ugali kochen sie hart, aber das war es auch schon an Stammesspecials. Dafür haben sie hier einen relativ schlechten Ruf: von Wairaqw hörte ich mehrfach, sie seien es, die- auch auf die Kämpfe bezogen- den Ärger bringen. Meine kleine Gastschwester hatte Angst, ihnen im Dnkeln zu begegnen, sie hätten einen schlechten Charakter, würden andere Leute mit Steinen bewerfen. Ein anderer sagte, die Jungendlichen hätten nichts im Kopf, wollen nicht lernen, können nicht reden, wollen alles mit Gewalt erreichen. Im Kämpfen seien sie eh unterlegen, und das obwohl sie damals Feuerwaffen benutzt haben, aber wohl schlechte, selbstgebaute. Zum Glück halten solche Meinungen sie trotzdem nicht davon ab, mit Wanyiramba befreundet zu sein, und darum haben wir regelmäßige Gäste aus der Nachbarschaft zu Hause, von denen ich mit einem besonders gerne rede. Er sagte zum Beispiel, dass Frauen bei ihnen, im Gegensatz zu Iraqw und Barbaig, nicht unter dem Mann stehen. Tatsächlich ist Nyiramba der einzige der drei Stämme, bei dem weibliche Genitalbescheneidung nicht zur Tradition gehört. Landwirschaftlich sind sie es, die hier neben Mais und Sonnenblumen auch anderes anbauen wie Süßkartoffeln oder Erdnüsse. Ich habe viele Nyiramba-Freunde gefunden, Lehrer für Sprachen, Diskussionsparnter, viele sehr nette Menschen, und wurde für meinen Teil noch nie mit einem Stein beworfen.

Iraqw

Jonas‘ und meine Gastfamilien sind Wairaqw, ebenso fast alle meine Arbeitskollegen, dadurch hatten wir von Anfang an am meisten mit diesem Stamm zu tun. Und könnten von diesem am meisten erzählen: wie man Ugali so kocht, dass es weich bleibt, aber nicht klebt; wie man den Ngororistoff der Iraqw von dem Stoff der Barbaig unterscheidet (das war früher, als Ngororis noch aus Leder waren, das unterschiedlich verarbeitet wurde, einfacher…); warum man auch Schuhen aus Autoreifen die Stammesangehörigkeit ansehen kann oder dass man immer etwas zu viel Essen kochen sollte, weil jeder angekündigte oder unangekündigte Gast immer zum Essen eingeladen wird (in unserem Fall hieß das oft: mitessen muss). Gewöhnungsbedürftig ist die Sprache, wohl irgendwie mit Arabisch verwandt (vor 2000 Jahren oder so kamen die Wairaqw wohl erst aus dem Irak, dann aus Äthiopien nach Tansania), vom Klang her für uns unaussprechbar, die aber gern und viel gesprochen wird, wenn Wairaqw zusammenkommen (oder um mich zu aergern). Aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis in unserem Alter sind fast alle Wairaqw. Jugendliche, die in Großstädten auf die weiterführende Schule gehen, modern und gebildet, die sich im Dorf aber gleich den Ngorori um die Schultern werfen und die Ferien zu Hause auf dem Feld und bei den Kühen verbringen. Wer Bildung hat, der beschenidet seine Töchter nicht, der kratzt alles Geld zusammen, um seine Kinder auf gute Schulen zu schicken, und im besten Fall hilft er sogar in der Küche beim Kochen mit, obwohl er ein Mann ist. Aber was davon nun Kultur und was Persönlichkeit des einzelnen ist kann ich nicht sagen.

Was nun die kulturelle Vielfalt in Mwanga perfekt macht sind die Religionen, die man hier findet. Mwanga Mission wurde von katholischen Schwestern geleitet, die Gesundheitsstation wie Kolping sind katholisch und liegen schon örtlich nah an den Schwestern, Pfarrern und der Kirche. Aber im Dorf leben außerdem Protestanten, Moslems und Heiden, in näherer Entfernung gibt es drei evangelische Kirchen und mindestens eine Moschee. So feiern die Moslems mit den Christen gemeinsam Ostern und die Christen wissen, wie man auf arabisch Gott dankt und grüßt, beim Tischgebet bekreuzigen sich die einen, während die anderen nur die Augen schließen, und an heidnische Flüche glauben schließlich auch alle.

Das also ist Mwanga. Ein Dorf, zwei Verwaltungsbezirke, drei Stämme, vier Religionen, fünf Sprachen. Und unendlich viel zu lernen.

________
1 Konjugationen sind zum Teil in Kiswahili: M- fuer ein Mitglied des jeweiligen Stammes (zB Mbarbaig), Wa- fuer mehrere Menschen (zB Wanyiramba).

2 Swahili ist oder war eigentlich ein eigener Stamm, eine Mischung vieler Kulturen, sagen Reisefuehrer. In Städten bedeutet das aber so viel wie Tansani, wenn die Stammesherkunft keine Rolle mehr spielt, die Eltern vielleicht schon zwei Stämmen angehört haben und man auch gar keine Stammessprache mehr gelernt hat, wenn nur noch die gemeinsame Sprache Kiswahili zählt und man damit genauso als Araber, Inder oder Europäer ein Teil der Gemeinschaft ist.